Cover
Titel
Triumph der Moderne. Jüdische Gründer von Warenhäusern in der Schweiz, 1890-1945


Autor(en)
Bhend, Angela
Reihe
Beiträge zur Geschichte und Kultur der Juden in der Schweiz 19
Erschienen
Zürich 2021: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
351 S.
Preis
CH 58
von
Christian Lüthi, Bern

Die Historikerin Angela Bhend kam bei der Lektüre des Romans Melnitz von Charles Lewinsky auf die Idee, im Rahmen ihrer Dissertation an der Universität Basel die jüdischen Gründer von Warenhäusern in der Schweiz zu untersuchen. Sie schloss die Forschungsarbeit 2020 ab und publizierte sie 2021 in Form eines schön illustrierten Bandes.

Die Publikation umfasst zwei Teile, die auf eine Einleitung zu Theorie und Methode folgen. Im ersten Teil präsentiert die Autorin die Geschichte der Warenhäuser in Europa und Amerika, mit einem Fokus auf Paris. Die Entstehung war eng mit der Industrialisierung und der massenweisen Herstellung von standardisierten Produkten verbunden. Danach geht Bhend auf den Aufstieg dieser Verkaufsform in der Schweiz um 1900 ein. Weitere Kapitel widmen sich der repräsentativen Architektur von Schweizer Warentempeln, dem Warenhaus als Erfahrungswelt und schliesslich dem Widerstand des Kleingewerbes gegen die Detailhandelsketten. Dieser veranlasste den Bundesrat 1933 dazu, ein Filialverbot für den Detailhandel zu verordnen, das bis 1945 in Kraft war. Die Autorin stützt sich auf Bestände aus rund zwanzig öffentlichen Archiven und aus Firmenarchiven (soweit diese noch existieren) sowie auf Festschriften, Zeitungsartikel und Interviews mit Nachkommen der Gründer von Familienunternehmen.

Der zweite Teil des Buches umfasst vier Familien- und Unternehmensbiografen. Etwa die Hälfte der Warenhäuser in der Schweiz wurde von jüdischen Personen gegründet. Dies hängt damit zusammen, dass Juden in Europa bis ins 19. Jahrhundert nur bestimmte Berufe, darunter jenen des Warenhändlers, ausüben durften. Zwei der vier vorgestellten Warenhausunternehmen, die zu den bedeutendsten Firmen dieser Branche in der Schweiz gehörten, existieren bis heute.

Julius Brann (1876–1961) stammte aus Ostpreussen und zog 1896 nach Zürich, wo er in einem Merceriegeschäft Arbeit fand. Noch im gleichen Jahr machte er sich selbstständig und gründete unter seinem Namen das erste Warenhaus der Schweiz. Ab 1898 eröffnete er in achtzehn anderen Schweizer Städten Ableger, bis seine Firma vor dem Ersten Weltkrieg zwanzig Filialen zählte. 1939 entschloss er sich, in die USA auszuwandern, da er sich der Gefahr, die vom Nationalsozialismus für Juden in Europa ausging, nicht weiter aussetzen konnte. Er verkaufte den Warenhauskonzern an seinen Verwaltungsratspräsidenten Oscar Weber, der die Firma unter seinem Namen weiterführte. Obwohl Brann ein wichtiger Pionier der Warenhäuser in der Schweiz war, ging er völlig vergessen. Es gibt nicht einmal einen biografischen Artikel über ihn im Historischen Lexikon der Schweiz.

Das zweite Firmenporträt ist dem Warenhaus Loeb in Bern gewidmet. Die Loebs führten ab 1864 ein Detailhandelsgeschäft in Freiburg im Breisgau. Von diesem Stammhaus aus zog David Loeb 1867 erstmals als Marktfahrer nach Bern. 1881 eröffnete er hier mit seinen Brüdern den ersten Loeb-Verkaufsladen, der 1899 zu einem Warenhaus an der Spitalgasse ausgebaut wurde. Dieses wurde danach mehrmals baulich erweitert. Später eröffnete Loeb Filialen in Thun und weiteren Städten. Diese Expansionsschritte waren typisch für die Entwicklung von Warenhäusern.

Die dritte Firma, die heutige Manor, erhielt ihren Namen nach den Gründerfamilien Maus und Nordmann, die aus dem Elsass stammten. 1865 zog der Tuchhändler Moïse Nordmann nach Biel und eröffnete dort ein Geschäft. Sein Sohn Léon übernahm dieses 1898 und expandierte ab 1902 in andere Städte. So eröffnete er 1902 unter seinem Namen das erste Warenhaus in Luzern.

1890 gründeten zwei Brüder Maus in Biel ein Merceriegeschäft, das später mit der Familie Nordmann zusammenarbeitete. 1929 brachte eine Heirat die beiden Familien näher zusammen. Sie bauten im 20. Jahrhundert ein Netz von zahlreichen Warenhäusern in der Schweiz auf, die ab 1965 zuerst lokal und später in der ganzen Schweiz unter dem Namen Manor auftraten.

Das vierte Porträt präsentiert die Geschichte der Gebrüder Lang in Baden, die 1871 die «Französische Warenhalle» in Zürich gründeten und dieses Modegeschäft später unter dem Namen Frawa bis 1977 weiterführten.

Die vier Kapitel bieten allerdings nicht umfassende Firmengeschichten; vielmehr sind sie als biografische Studien der Unternehmerfamilien angelegt und reichen teilweise über das Ende des Untersuchungszeitraums der Publikation um 1945 hinaus. Aus bernischer Perspektive sind zudem kürzere Abschnitte zu Warenhäusern interessant, die es längst nicht mehr gibt: Mandowsky in Bern, Geismar «Zur Stadt Paris» in Interlaken und Thun sowie Strauss in Burgdorf.

Angela Bhend legt erstmals seit der Dissertation von Erwin Denneberg 1937 eine wissenschaftlich fundierte Studie zur Geschichte der Warenhäuser in der Schweiz vor. Sie beleuchtet das Objekt aus verschiedenen Perspektiven und holt längst vergessene Namen von Unternehmern wie Brann oder Geismar wieder ans Licht. Die Arbeit ist gut recherchiert und präsentiert eine Vielzahl von neuem und grafisch attraktivem Bildmaterial. Mit der Fokussierung auf die Firmen mit jüdischen Gründern blendet sie allerdings einen Teil der Branche aus. So fehlen für die Stadt Bern Informationen zum Warenhaus Kaiser, für Thun zu Schaufelberger und für Biel zu Bouldoires. Von den national bedeutenden Konzernen kommt Jelmoli vor, nicht jedoch Globus. Wünschbar wäre eine Untersuchung zur Entwicklung nach 1945. Hier liegt ein Feld für weitere Forschungen brach.

Zitierweise:
Christian Lüthi: Rezension zu: Bhend, Angela: Triumph der Moderne. Jüdische Gründer von Warenhäusern in der Schweiz, 1890–1945. Zürich: Chronos 2021. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 84 Nr. 2, 2022, S. 40-42.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 84 Nr. 2, 2022, S. 40-42.

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